Sondergebiete des WerberechtsIm Laufe der Jahrzehnte haben sich insbesondere durch die Rechtsprechung und die Gesetzgebung innerhalb des Wettbewerbsrechts einige Sonderrechtsgebiete gebildet. Das Lauterkeitsrecht umfasst nicht nur das allgemeine Wettbewerbsrecht nach dem UWG, sondern auch zahlreiche spezialgesetzliche Regelungen, die für bestimmte Branchen oder Werbeformen gelten. Diese Spezialgesetze ergänzen das UWG und regeln spezifische Anforderungen an irreführende Werbung, Produktkennzeichnung, Verbraucherinformationen und Marktverhalten.
1. Lebensmittelwerbung und Verbraucherschutz (LFGB, Health-Claims-Verordnung, EU-Lebensmittelrecht)Das Lebensmittelrecht setzt besonders strenge Maßstäbe für Werbung, um Verbraucher vor Täuschung zu schützen. a) Verbot der Irreführung (§ 11 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch – LFGB)- Lebensmittel dürfen nicht mit irreführenden Angaben zu Beschaffenheit, Herkunft oder gesundheitlichen Wirkungen beworben werden.
â–¶ Beispiel: Ein Joghurt wird als „100 % natürlich“ beworben, obwohl er künstliche Aromen enthält. Rechtsprechung: - BGH, Urteil vom 12.02.2015 – I ZR 36/11: Die Werbung mit dem Begriff „bekömmlich“ für Bier war unzulässig, da er gesundheitsbezogene Wirkung suggeriert.
b) Health-Claims-Verordnung (HCVO, EU-VO 1924/2006)- Nur wissenschaftlich nachgewiesene und von der EU zugelassene gesundheitsbezogene Werbeaussagen sind erlaubt.
- Beispielsweise ist „Calcium trägt zur Erhaltung normaler Knochen bei“ zulässig, aber „Dieses Produkt schützt vor Osteoporose“ nicht.
â–¶ Beispiel: Ein Hersteller darf nicht ohne Zulassung behaupten, dass ein Getränk das Immunsystem stärkt. Rechtsprechung: - EuGH, Urteil vom 06.09.2012 – C-544/10: Werbung für Nahrungsergänzungsmittel mit nicht zugelassenen Health-Claims ist unzulässig.
2. Arzneimittel- und Heilmittelwerbung (HWG, AMG, EU-Recht)Arzneimittel und Heilmittel unterliegen besonders strengen Werberegulierungen. a) Heilmittelwerbegesetz (HWG)- Werbung für Arzneimittel und medizinische Verfahren darf keine irreführenden oder wissenschaftlich unbelegten Heilversprechen enthalten.
- Verbot öffentlicher Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente.
â–¶ Beispiel: Ein Pharmaunternehmen darf nicht mit „Dieses Mittel heilt Migräne garantiert“ werben. Rechtsprechung: - BGH, Urteil vom 06.02.2013 – I ZR 62/11: Irreführende Werbung mit „sanfter Krebstherapie“ wurde untersagt.
b) Arzneimittelgesetz (AMG)- Regelt Produktzulassung, Wirkstoffnachweise und Nebenwirkungsaufklärung für Medikamente.
â–¶ Beispiel: Ein Unternehmen vertreibt ein Nahrungsergänzungsmittel mit Heilversprechen, ohne dass es als Arzneimittel zugelassen ist. Rechtsprechung: - BGH, Urteil vom 18.12.2014 – I ZR 129/13: Ein Produkt mit medizinischer Wirkung muss als Arzneimittel zugelassen sein.
3. Banken-, Finanz- und Versicherungswerbung (WpHG, KWG, VVG)Die Werbung für Finanzprodukte ist durch strenge Transparenzvorgaben reglementiert. a) Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) & Kreditwesengesetz (KWG)- Werbung für Finanzprodukte muss alle Risiken offenlegen.
- Irreführende Angaben zu Renditen oder „garantierten“ Gewinnen sind verboten.
â–¶ Beispiel: Eine Bank darf nicht mit „sicheren 10 % Rendite pro Jahr“ werben, wenn das Produkt spekulativ ist. Rechtsprechung: - BGH, Urteil vom 12.10.2021 – XI ZR 182/20: Fehlende Aufklärung über Anlagerisiken führt zur Haftung der Bank.
b) Versicherungsvertragsgesetz (VVG)- Versicherungswerbung muss vollständig und transparent über Kosten, Bedingungen und Einschränkungen informieren.
â–¶ Beispiel: Ein Versicherer wirbt mit „Vollschutz ohne Einschränkungen“, obwohl viele Schadensfälle ausgeschlossen sind.
4. Umwelt- und Nachhaltigkeitswerbung (Greenwashing, UWG, EU-Richtlinien)- Werbung mit „umweltfreundlich“, „klimaneutral“, „nachhaltig“ muss nachweisbar sein.
- Täuschung über ökologische Vorteile ist unzulässig (sog. Greenwashing).
â–¶ Beispiel: Ein Modekonzern wirbt mit „nachhaltiger Baumwolle“, obwohl keine Nachweise für umweltschonende Produktion existieren. Rechtsprechung: - LG Karlsruhe, Urteil vom 10.09.2021 – 13 O 20/21: Unzulässige Werbung mit „klimaneutral“, weil keine COâ‚‚-Kompensationsmaßnahmen nachgewiesen wurden.
5. Jugendschutz und Werbebeschränkungen (JuSchG, JMStV, Tabak- und Alkoholwerbung)Werbung, die sich an Kinder oder Jugendliche richtet, ist besonders reguliert. a) Jugendschutzgesetz (JuSchG) & Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV)- Verbot der gezielten Werbung für Alkohol, Tabak oder Glücksspiel für Minderjährige.
- Schutz vor übermäßig aggressiver Werbung in Medienangeboten für Kinder.
▶ Beispiel: Eine Social-Media-Kampagne für Energy-Drinks richtet sich gezielt an 14-Jährige. b) Tabak- und Alkoholwerbung (TabakerzG, UWG, LFGB)- Verbot von Tabakwerbung im Fernsehen, Radio, Online und Printmedien.
- Alkoholwerbung darf nicht mit Gesundheitsvorteilen werben oder Jugendliche ansprechen.
â–¶ Beispiel: Eine Biermarke bewirbt ihr Produkt mit „Fitness & Genuss“, was unzulässig ist. Rechtsprechung: - EuGH, Urteil vom 23.10.2019 – C-673/17: Verbot von Werbung für elektronische Zigaretten im Internet wurde bestätigt.
6. Influencer- und Social-Media-Werbung (Kennzeichnungspflichten, DSGVO, UWG)- Werbung in sozialen Medien muss klar als solche gekennzeichnet sein.
- Irreführende Produktplatzierungen oder Schleichwerbung sind verboten.
â–¶ Beispiel: Ein Influencer postet ein gesponsertes Produkt ohne „Werbung“-Hinweis. Rechtsprechung: - BGH, Urteil vom 09.09.2021 – I ZR 90/20 („Influencer-Urteil“): Beiträge müssen als Werbung gekennzeichnet werden, wenn es sich um kommerzielle Kommunikation handelt.
LauterkeitsrechtDas Lauterkeitsrecht ist vielschichtig und umfasst zahlreiche Spezialbereiche mit strengen Werbevorgaben. Besonders streng reguliert sind die Lebensmittel-, Arzneimittel-, Finanz-, Umwelt- und Jugendschutzwerbung sowie die Influencer-Werbung. Unternehmen und Werbetreibende müssen sicherstellen, dass ihre Werbemaßnahmen den gesetzlichen Anforderungen entsprechen, um Abmahnungen, Bußgelder oder gerichtliche Sanktionen zu vermeiden. |